Gerrit Lenssen, Autor des Buchs „Himmel – Hölle – Fußball“, über den ganz eigenen Charme des Amateurfußballs
Sommerpause. Unter dem Wohnzimmertisch, der ja so oder so für ganz spezielle Dinge berühmt berüchtigt ist (schließlich weiß man nie, ob man das Panini–Album 09/10 oder die Mini–Taschenlampe mit drei verschiedenen Leuchtfarben noch einmal gebrauchen kann) suche ich nach einer Speisekarte, finde aber statt dieser etwas ganz Besonderes. Nun gut, auf den ersten Blick mag es sich gar nicht so besonders anhören, handelt es sich doch um eine DIN–A5 Vereinszeitung meines Heimatclubs. Jahrgang 2013. Eines dieser Heftchen, welches neben circa dreihundert (inhaltlich wie druckqualitativ absurd schlechten) Werbeanzeigen eine Hand voll Mannschaftsfotos, Spielberichte und Tabellen enthält. So weit, so unspektakulär. Aber was eben last but not least auch drin ist: Spielersteckbriefe! Pro Exemplar eins aus erster, zweiter und dritter Mannschaft. Entsprechend vorwitzig, fast schon hektisch, kämpfe ich mich vor. Und stoße unter anderem auf Tom, 26, Position, wie er selbst angibt, „Innenverteidiger, eigentlich Sturm, aber der Trainer möchte das nicht.“ Es folgen einige weitere Highlights. Hobbys: „Kegeln und generelles Saufen“, Stärken: „Duschen/Theke“, größter Erfolg: „Zweiter Kreismeisterschaft F–Jugend.“ Deutet er unter ‚Schwächen‘ selbstkritisch darauf hin, er sei „gelegentlich hitzköpfig“, so kann das logische Saisonziel natürlich nur eines sein: „weniger
als zwanzig gelbe Karten bekommen!“
Auch der nächste Spielersteckbrief, der von Jörg, 32, aus der dritten Mannschaft (nur fürs Protokoll: Kreisliga C), lässt mich nicht hängen. Jörg ist Linksverteidiger und gibt im Gegensatz zu Tom, der immerhin zwei ganz handelsübliche Freizeitbeschäftigungen hat, lediglich ein einziges Hobby an: „Zum Fürsten.“ Hierzu sollte kurz angemerkt werden, dass es sich bei „Zum Fürsten“ nicht um irgendeine Trendsportart oder ein beliebtes Ausflugsziel für den Familientrip handelt. Sondern um nichts anderes als die kleine Eckkneipe unseres Dorfes. Hinter Jörg aber steckt deutlich mehr als das, weist er doch als Stärke aus, „immer anwesend“ zu sein (Schwäche jedoch: „zu schnell eingeschnappt“) und als größten Erfolg seiner Karriere „dicht gespielt zu haben, ohne, dass der Trainer etwas bemerkt hat.“ Gänsehaut! Es zeugt von einem fantastischen Mann, den jede, aber wirklich jede Mannschaft nur zu gerne in ihren Reihen wissen würde. Zumal er als Saisonziel eben nicht von „Top 5“ oder „Minimum 10 Scorerpunkte“, den gängigen, abgedroschenen Phrasen, spricht. Sondern, klar, von einer „geilen Abschlusstour!“
Mit breitem Grinsen lege ich das Heft zurück und wühle anschließend nach weiteren Ausgaben. Drei finde ich – die aus dem November 2014, August 2015 und März 2018. Zugegeben eine merkwürdige Kombination, aber das ist gerade völlig egal. Hauptsache ich treffe auf mehr dieser – nun ja, auch wenn es beim Lesen teilweise weh tut – Perlen des Amateurfußballs. So kommen mir gleich zwei, sagen wir mal besondere Listen in der Rubrik Hobbys zu Gesicht: „Fitness, Turmspringen, Planwagenfahrt, Spielothek“, gibt Youngstar Melvin offen und ehrlich zur Kenntnis. Und Rüdiger (logisch: Routinier) gibt noch etwas spezieller an: „KFC, US–Cars, Hund, Aquaristik.“ So richtig abenteuerlich wird es schließlich bei den größten Erfolgen, die in ihrer schier unfassbaren Bedeutung nahtlos an die von Tom und Jörg anknüpfen. Um nur eine kleine Auswahl anzuführen: „Regelmäßig dritte Halbzeit“, „Zwei Spiele Kapitän“, „Achter Platz Kreisliga C 97/98“ sowie – und dazu muss erwähnt werden, dass wir trotz aller Abgründe immer noch von Fußballteams sprechen – „Jugendmeister Tennis.“ Zuletzt entbehren vor dem Hintergrund, dass es sich bei den meisten Steckbriefen um Akteure der unteren beiden Kreisligen handelt, Stärken wie „Ruhe am Ball“, „Tempodribbling“, „finaler Pass“ oder „gutes Raumverständnis“ nicht einer gewissen Komik. Wenngleich betont werden muss, dass auch die kleinen Schwächen schonungslos eingeräumt werden. Etwa die „fehlende Dynamik“, „zu wenig Vertikalspiel“ oder – Klassiker – „mental nicht stabil genug.“
Selbstverständlich: Spätestens nach den Stärken und Schwächen ist es zwingend an der Zeit, die Hefte wieder beiseitezulegen. Gleichwohl: Es ist eben der ganz eigene Charme des Amateurfußballs, der in diesen Steckbriefen zum Vorschein kommt. Diese unfreiwillige wie authentische Komik, zuweilen Tragik, die nun endlich – nach Monaten der Abstinenz – auch auf dem Platz wieder zu bestaunen sein wird. Denn wenn am Wochenende der B–Liga Trainer für Samstagabend ein Alkoholverbot ausruft, obwohl Großteile seiner Mannschaft mit Promille besser spielen als nüchtern; wenn man beim Treffpunkt zum Schützenminister trotz seines ehrenhaften Vorhabens („werde dieses Jahr am Glas ruhiger“) mal wieder zwei Meter Abstand einhalten muss; wenn das Stammpublikum bereits nach zwei gespielten Minuten nörgelt und fachkundig von „Differenzen zwischen Trainer und Spielern“ spricht; wenn der dicke Mittelstürmer das Ding aus Versehen reinstolpert und unverzüglich zum Ronaldo–Torjubel ansetzt; und wenn nach dem Spiel dilettantisch die Bierzeltgarnitur zur „Pressekonferenz“ ins Vereinsheim getragen wird, dann, ja dann wird endgültig allen bewusst: Der Amateurfußball ist endlich zurück! Welcome Back!
„Himmel – Hölle – Fußball“ ist eine Sammlung besonderer Anekdoten über das Fan–Leben, Storys abseits des Feldes und natürlich allen voran: stille Helden, schräge Typen & kuriose Erlebnisse aus der Welt des Amateurfußballs. Das im Arete–Verlag veröffentlichte Buch ist im stationären Buchhandel sowie bei allen gängigen Online–Anbietern erhältlich.
Quelle: Gerrit Lenssen
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